Im Dieselgate-Prozess gegen den früheren Volkswagen-CEO Martin Winterkorn geht es unter anderem um „gewerbs- und bandenmäßigen Betrug“. So lautet die Anklage.
Doch unabhängig davon, ob sich dieser vorsätzliche Betrug durch den Vorstand nachweisen lässt, liegen in dem Verfahren auch zwei andere Chancen:
1. Deutlich zu machen, das ranghohe Manager nicht nur Verantwortung tragen für konkrete Entscheidungen, sondern auch für die Kultur des Unternehmens.
2. Herauszuarbeiten, wie zerstörerisch die Kräfte sein können, die ein Klima der Angst und des Schweigens entfaltet.
„Ich war nicht informiert.“ So lautet bisher die Kernbotschaft von Martin Winterkorn über seine Rolle in den Abgas-Schummeleien, die den Konzern schon mehr als 33 Milliarden Euro gekostet haben. „Wäre mir ein vollständiges Bild von den internen Vorgängen in den verantwortlichen Fachabteilungen vermittelt worden, hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge direkt anzugehen und aufzuklären“, sagte Winterkorn Anfang September vor dem Landgericht Braunschweig.
Winterkorn sitzt auf der Anklagebank – und mit ihm auch die Kultur, die er durch seinen hierarchischen, autokratischen Führungsstil geschaffen hat. Denn gerade die so genannten „Spitzen der Wirtschaft“ tragen neben einer Verantwortungs-Verantwortung auch eine Kultur-Verantwortung. Letztere ist wichtiger, weil sie das Umfeld prägt, in dem Entscheidungen getroffen werden.
„Ich war nicht informiert.“ Auch, wenn das stimmt, muss sich Winterkorn der Frage stellen: Warum? Wie konnte das passieren? Wie entstand dieses Klima des Schweigens und der Schummelei?
Warum hat es niemand gewagt, dem Chef zu sagen: „Wir haben da ein Problem. Wir können die strengen US-Abgasvorschriften nur mit betrügerischer Software einhalten.
Gerade die so genannten „Spitzen der Wirtschaft“ tragen neben einer Verantwortungs-Verantwortung auch eine Kultur-Verantwortung. Letztere ist wichtiger, weil sie das Umfeld prägt, in dem Entscheidungen getroffen werden.
Ein Satz von Winterkorn aus einer Zeugenvernehmung in einem anderen Verfahren sagt viel über seinen Führungsstil und die mangelnde psychologische Sicherheit in seinem Umfeld. Über den damaligen Abteilungsleiter Produktsicherheit bei VW, der dem Boss offenbar eine warnende Notiz über die technische Trickserei geschickt hat, sagte Winterkorn als Zeuge vor Gericht: „Er war jemand, der das Glas immer halb leer gesehen hat. Er hat sich Dinge angemaßt, da hat er keine Ahnung von.“ (Zitiert nach „Capital„.)
Das bedeutet: Es gab offenbar Menschen im VW-Konzern, die ihre Verantwortung wahrgenommen und mutig interveniert haben. Doch diesen Personen hat Winterkorn nicht zugehört, weil er sie pauschal abgewertet hat („Der sieht das Glas immer halb leer“). Diese Personen mussten auch damit rechnen, beschämt und sanktioniert zu werden („Er hat sich Dinge angemaßt, da hat er keine Ahnung von.“).
„Ich war nicht informiert.“ Auch wenn das stimmt, muss sich Winterkorn der Frage stellen: Wie konnte das passieren? Warum hat es niemand gewagt, dem Chef zu sagen: „Wir haben da ein Problem.“
In der Klageschrift ist auch ein anderes Zitat von Winterkorn dokumentiert: „Ihr Antriebsfritzen, was habt ihr jetzt wieder angestellt?“ (zitiert nach SZ). Ein Satz, der er in einer Runde mit Managern in den Monaten vor Bekanntwerden des Betrugs gefallen sein soll. Auch dieser Satz spricht Bände über eine Führungskultur, in der sich Top-Ingenieure gefallen lassen, als unfähige „Fritzen“ angesprochen zu werden, die wie Kinder etwas Dummes gemacht haben.
Abwerten, Ignorieren, Beschämen… Das sind klassiche Verhaltensweisen toxischer Führung.Wahrscheinlich sind viele Menschen in Winterkorns Umfeld einfach verstummt, weil sie Angst vor diesen Verhaltensmustern des Vorstands hatten. Die Sorge vor negativen Reaktionen hat sie davon abgehalten, laut zu sagen: „Achtung: Wir betrügen unsere Kunden.“
Aufrichtigkeit hat in einer psychologisch unsicheren Kultur der Einschüchterung keine Chance. Und das kann verheerende Folgen haben. Winterkorn herrschte in einem Klima der Angst – und möglicherweise scheiterte er genau daran.
Abwerten, Ignorieren, Beschämen… Winterkorn herrschte in einem Klima der Angst – und möglicherweise scheiterte er auch genau daran.
Wie die giftigen Dieseldämpfe, die weiterhin aus den VW-Motoren in die Umwelt drangen, hatte auch Winterkorns Verhalten eine „toxische“ Wirkung. Über Jahre hinweg hat es niemand im Management gewagt, die schlechten Nachrichten von den realen Abgaswerten mit der entsprechenden Dringlichkeit zu thematisieren. Aus Angst davor, als Überbringer schlechter Nachrichten negative Folgen zu erleben, haben die betroffenen Konstrukteure, Ingenieure und Manager geschwiegen. „Mit jedem Jahr gab es weniger Menschen, die sich getraut hätten, Winterkorn zu widersprechen.“ So zitiert der „Spiegel“ einen ehemaligen Konzernvorstand.
Eine smarte, technisch nachhaltige Lösung für das Abgasproblem wurde nicht gefunden – vielleicht unter dem hohen Druck auch gar nicht gesucht. Die Kultur des Schweigens hat möglicherweise eine Chance zur Innovation verhindert.
Wie die giftigen Dieseldämpfe, die weiterhin aus den VW-Motoren in die Umwelt drangen, hatte auch Winterkorns Verhalten eine „toxische“ Wirkung.
Welche Konsequenzen hat das heute, neun Jahre nach dem Skandal 2015?
Bei Volkswagen gibt es einen Code of Conduct aus der Abteilung Integrity and Compliance. Darin heißt es unter anderem. „Wir sind aufrichtig und sprechen an, was nicht in Ordnung ist.“ In dem Code of Conduct steht leider nicht, wie diese Aufrichtigkeit und Kultur des „Speak up“ gemessen wird. Mir ist auch nicht bekannt, ob Verhaltensweisen wie die von Martin Winterkorn heute als Behinderung dieser Aufrichtigkeits-Regel sanktioniert werden würden. Vielleicht ist das nur ein hohler Satz auf der „Schauseite“ des Konzerns.
Mehr dazu in meinem Buch „Psychologische Sicherheit. Die Superkraft erfolgreicher Teams“ (Haufe 2024).
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