Es gibt Sätze von Vorgesetzten oder Kolleg:innen, die klingen uns lange im Ohr. Manche dieser Sätze wirken wie Tiefschläge. Sie machen uns fertig und nehmen uns jeden Mut. Andere setzen Energie frei wie ein Blumenstrauss. Kommunikation hat Wirkung – nicht nur auf unser individuelles Befinden, sondern auch auf die Psychologische Sicherheit und damit die Leistungsfähigkeit eines Teams.

Im ersten Teil der Blogserie über Psychologische Sicherheit habe ich beschrieben, warum  Psychologische Sicherheit in vielen Studien der letzten Jahre als Top-Faktor für den Erfolg eines Teams identifiziert worden ist. Da findest Du auch einen Test dazu.

Im zweiten Teil wird es nun konkreter: Es geht darum, welche Kommunikationen “toxisch” wirken können und der Psychologischen Sicherheit in einem Team schaden – und welche Kommunikationen eine angstfreie, sichere Kultur fördern. Hierzu gibt es viele echte Beispiele. Einige davon kannst Du zu Übungszwecken selbst analysieren und umformulieren.

Führende geben den Ton an. Doch alle anderen tragen auch Verantwortung für einen sicheren Grundklang.

Psychologische Sicherheit zeigt sich in dem Vertrauen von allen Menschen einer Gruppe oder eines Teams, dass sie frei sprechen können, Ideen und Bedenken äußern und Fehler machen können, ohne Angst vor irgendwelchen negativen Konsequenzen zu haben. (Amy C. Edmondson, „Die angstfreie Organisation“)

Führungskräfte, die eine psychologisch sichere Arbeitsumgebung schaffen, fördern damit ein offenes, kreatives und innovatives Arbeitsklima, in dem Bestleistung möglich wird. Sie geben den Ton an. Sie stellen die Weichen für einen positiven Umgang miteinander. Doch alle anderen Menschen in Organisationen tragen ebenfalls Verantwortung für einen sicheren Grundsound.

In „The Psychological Safety Playbook“ schreiben Karolin Helbig und Minette Norman: Diese Art von Führung oder Leadership ist „unabhängig von formalen hierarchischen Rollen“. Du kannst also auf jeder Position in Deiner Organisation Leadership übernehmen, wenn Du so kommunizierst, dass Deine Kolleginnen und Kollegen „angstfrei“ mit Dir zusammenarbeiten.

Das bedeutet: Auch wenn Du nicht offiziell „in Führung“ bist, kannst Du mit deinem Verhalten und deinen Worten die Psychologische Sicherheit in Deinem Team beeinflussen. 

Was fördert Psychologische Sicherheit?

Bevor ich auf ganz konkrete Kommunikationssituationen eingehe, gibt es jetzt einen kompakten Überblick, was alles dazu beitragen kann, dass Psychologische Sicherheit entsteht. Nach meiner Erfahrung erfüllen zufriedene Top-Teams oft viele dieser Kriterien. Manchmal geschieht das eher „unbewusst“ aus einer wertschätzenden Kultur heraus. Manchmal ist das bewusst aus einem krisenhaften Erleben erarbeitet.

Eine These leitet mich immer, wenn ich mit Teams und Führenden zu diesem Thema arbeite: Psychologische Sicherheit ist Ausruck der Kultur im Team oder im ganzen Unternehmen. Und Kultur ist durch bewusstes Draufschauen und schrittweises Arbeiten daran veränderbar.

Psychologische Sicherheit ist Ausdruck der Kultur – und damit bewusst schrittweise veränderbar.

Was fördert Psychologische Sicherheit – Grafik Karin Volbracht

Zehn Leitsätze: Was fördert Psychologische Sicherheit?

    1. Wertschätzende Grundhaltung: Wir begegnen anderen über alle Hierarchiestufen hinweg mit Toleranz und der grundsätzlichen Vermutung „Ich bin okay. Du bist okay.“

    1. Nahbarkeit (Verletzlichkeit): Wir geben uns auch in unseren Schwächen und Sorgen zu erkennen.

    1. Offenheit für Feedback / Lernbereitschaft: Wir vertrauen darauf, anderen Feedback geben zu können und selbst Feedback zu erhalten, um uns zu entwickeln.

    1. Transparenz in der Kommunikation: Wir haben Zugang zu wichtigen Informationen und können jederzeit Fragen stellen.

    1. Gemeinsam definierte Do’s und Dont’s: Wir haben gemeinsam Regeln für den Umgang miteinander aufgestellt.

    1. Empathie: Wir berücksichtigen die Interessen und Bedürfnisse anderer.

    1. Aktives Zuhören und Fragen stellen: Wir lassen andere ausreden und fragen nach, um andere Sichtweisen zu erfahren.

    1. Positive Fehlerkultur: Wir stehen zu eigenen Fehlern und weisen andere auf mögliche Fehler hin mit dem Ziel, gemeinsam besser zu werden.

    1. Direktes Adressieren und Klären von Spannungen: Wir übernehmen Verantwortung dafür, Störungen und Spannungen anzusprechen.

    1. Regelmäßiger Austausch: Wir schätzen Psychologische Sicherheit als unsere gemeinsame Qualität und nehmen uns die Zeit, daran zu arbeiten.

Wenn alles stimmt, kann der Ton auch mal flapsig oder etwas rauher sein.

Ich kenne ein mittelständiges Unternehmen, in dem es durchaus mal laut und robust zugehen kann. Bei einem Workshop zur agilen Zusammenarbeit dort war ich verunsichert, weil ich den Grundklang der Kommunikation als dominant, ironisch und herausfordernd erlebt habe. Ich hab dann einfach mal gefragt, ob das „normal“ sei, oder ob wir das mal besprechen sollten.

Die Reaktion war große Heiterkeit: „Wir sind hart, aber herzlich! Das passt so für uns.“ Am Ende des Tages war ich auch überzeugt: Dieses Team mit seinem eher raubeinigen, ironischen Chef erlebt sich in der Zusammenarbeit als sicher miteinander verbunden, wertschätzend und angstfrei.

Kleine Akte der Respektlosigkeit und Gleichgültigkeit

Komplett anders meine Erfahrung in insgesamt eher verunsicherten Organisationen, in denen es an Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen mangelt. Hier kann das leiseste kritische Feedback, ein ironischer Spruch von Vorgesetzen oder ein emotionaler Ausbruch der Kollegin ein inneres Beben verursachen.

Der US-Autor Timothy Clark beschreibt diesen Mangel an Sicherheit so: „Kleine und scheinbar unbedeutende Akte der Respektlosigkeit, Unhöflichkeit oder Gleichgültigkeit können ein Team zurück in den Rückzug und das persönliche Risikomanagement treiben.“

Nun ist Dir sicher schon klar geworden, dass der Schatz der Psychologischen Sicherheit nicht so einfach gehoben werden kann. Denn wie bei vielen Kommunikationsthemen gilt: Unsere Haltung und unsere Werte prägen unser Verhalten. Aber die bewusste Arbeit an unserem Kommunikationsverhalten – also an dem, was andere direkt wahrnehmen – kann wiederum auch unsere Haltung und die Sicherheit in einem Team verändern.

Sätze wie Tiefschläge – Sätze wie Blumensträuße

Jetzt wird’s konkret. Schau mal auf diese folgenden zehn Zitate. Der erste Satz ist der „Tiefschlag“ und schadet der Psychologischen Sicherheit. Der zweite Satz könnte in derselben Situation wie ein motivierender Blumenstrauss wirken. (Einige Beispiele stammen aus „The Psychological Safety Playbook“):

„Toxisch“:
Kommunikative Tiefschläge
Nährend:
Kommunikative Blumensträuße
1 “Das ist doch offensichtlich, das haben wir doch alles schon besprochen.” “Was ist Dir noch unklar? Vielleicht habe ich das noch nicht klar genug erklärt.“
2 „Ich brauch jetzt keine Diskussion dazu.“ „Was sollte ich noch wissen?“
3 „Das ist Dein Problem. Das sehe ich bei Dir.“ „Macht es für Dich Sinn, wenn wir da mal gemeinsam draufschauen?“
4 „Das liegt nicht in Deiner Verantwortung.“ „Danke für Deinen Hinweis.“
5 „Immer diese Bedenkenträger!“ „Welche Perspektive sollten wir noch einnehmen?“
6 „Jetzt komm endlich mal zum Punkt.“ „Ich fasse mal zusammen, was ich bisher verstanden habe.“
7 „Das darf einfach nicht passieren.“ „Wie können wir das in Zukunft vermeiden?“
8 „Du bist immer so chaotisch. So kann ich nicht arbeiten.“ „Ich brauche mehr Ordnung, damit ich mich an diesem Arbeitsplatz wohl fühle.
9 „Das ist keine gute Idee, aber wenn Du drauf bestehst…“ „Interessante Idee. Was kann passieren, wenn Du das ausprobierst?“
10 Ich hör mir diese Kritik nicht länger an. Das führt zu nichts.“ „Danke, dass Du den Mut hast, das offen anzusprechen.“
Beispielsätze Pychologische Sicherheit

Kurze Übung: Wie würdest Du anders reagieren?

Zum Schluss kanst Du jetzt allein oder mit Kolleg:innen selbst mal üben. Wenn Du auf die fünf unten geschilderten alltäglichen Kommunikationsbeispiele schaust: Wie sieht Deiner Meinung nach in der geschilderten Situation eine Kommunikation aus, die Psychologische Sicherheit fördert?

    1. Der Projektleiter sagt zu einem Kollegen, der ein schwieriges Arbeitsthema mit ihm durchsprechen möchte: „Komm mir nicht immer mit Problemen. Wir sehen uns wieder, wenn Du das gelöst hast. Aber bitte schnell.“

    1. Eine Ärztin reagiert auf einen Pfleger, der sie auf einen extremen Wert im Blutbild einer Patientin aufmerksam macht, mit den Worten: „Wer von uns hat denn hier studiert?“

    1. Ein Kollege legt besonderen Wert darauf, dass alle die neu entwickelte Ablage– und Ordnerstruktur zu 100 Prozent umsetzen. Wenn er jemanden bei einem „Fehler“ erwischt, reagiert er ausfällig und abwertend. „Alles Idioten hier. Hier kann ich nicht arbeiten!“

    1. Ein Geschäftsführer hört sich mehrfach Klagen über einen Kollegen an, der von den anderen im Team als „Mobbing-Faktor“ beschrieben wird. Er reagiert passiv: „Löst das mal wie erwachsene Menschen selbst.“

    1. Eine Vorgesetzte bittet im Meeting alle um Ideen und Vorschläge zu einem dringenden Thema. Dann beendet sie die muntere Diskussion mit dem Satz: „Wenn jetzt alle ihren Senf dazu gedrückt haben, können wir vielleicht mal weitermachen.“

Willst Du das Thema vertiefen?

Wenn Du intensiver an dem Thema Psychologische Sicherheit arbeiten möchtest: Schreib mir gern eine Mail.

Im dritten Text zum Thema beschäftige ich mich damit, warum Psychologische Sicherheit in agilen oder selbstorganisierten Teams wichtiger sein kann als perfekte Prozesse, Methoden und Tools.

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