Authentisch leben! Authentisch sein! Glaubt man den Zeitgeistzauberern, dann ist ECHT das neue SCHÖN. Nur, wann und wie sind Menschen authentisch? Lässt sich das bewusst herstellen? Ich denke: Ja! Authentisches Verhalten können Sie gestalten. Und das hat viel mit Haltung, Freiheit und Entscheidung zu tun.

Szene 1: In der NDR Talkshow interviewt Barbara Schöneberger die Entertainerin Desiree Nick. Desiree Nick bleibt voll in ihrer Rolle und bringt Sätze und Witze, die eins zu eins aus ihrem neuen Programm und Buch stammen. Das ist lustig. Aber ist das auch authentisch? Ich frage mich: Wer sitzt denn da? Frau Nick würde vielleicht sagen: „Hier sitzt die 100 Prozent authentische Bühnenperson Desiree Nick. Zuhause am Frühstückstisch sitzt eine andere. Die ist echt auch total echt.“

Was ist „authentisch“?

Das Wort beschreibt eine bestimmte Art von Echtheit und Originalität. Doch diese Echtheit drückt sich niemals nur im immer gleichen Verhalten aus. Die eigene Echtheit hat viele Facetten. Ich kann total authentisch sein, wenn ich tagsüber in einem Seminarraum stehe UND wenn ich abends auf dem Sofa hänge und Nüsschen futtere.

Udo Lindenberg singt: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu.“

Das passt für viele Menschen, die sich fremdbestimmt fühlen, die wenig Eigenverantwortung übernehmen (dürfen) und nur wenige Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten für sich sehen. Wenn man sich gegängelt, kontrolliert und bevormundet fühlt, stellt sich das Gefühl von Authentizität kaum ein. Es sei denn, Sie finden auch in der engsten Situation einen Ausdruck Ihrer „Echtheit“.

Szene 2: Interview-Workshop mit Schauspielern, also Menschen, die es gewohnt sind zu spielen. Die Schauspieler stellen sich Interviewsettings vor und sollen jeweils für sich die passende Grundeinstellung/Haltung wählen. Die Haltung sollte zu ihrer persönlichen Agenda und zu ihren Zielen in der Situation passen. Es macht einen Unterschied, ob man beim Bambi sitzt oder beim Casting. Schon sind wir mitten im Echtheitsthema: „Wenn ich mich vor Kameras anders verhalte als bei einem Zeitungsinterview – wie kann ich denn dann authentisch sein?“ Oder: „Bin ich dann noch ich selbst?“

Ich erlebe mich immer dann als authentisch, wenn ich bei meinen eigenen Werten bin und eine Wahl- und Entscheidungsfreiheit habe, wie ich mein Verhalten passend zum jeweiligen Rahmen und entsprechend meiner Ziele gestalte.

Jemand ist „ganz bei sich selbst“ und authentisch:

1. Wenn er den Rahmen seines Verhaltens erkennt und akzeptiert. (Rahmen und Situation)

In der Kantine oder bei einer wichtigen Verhandlung ist der erlebte äußere Rahmen nun einmal anders als daheim am Küchentisch.

2. Wenn er in diesem Rahmen bewusst eine Haltung einnimmt, die zu seinen Werten, Grundannahmen und Kompetenzen passt. (Haltung und Werte)

Wie will ich mich in der Situation selbst erleben? Was ist mir dabei wichtig? Und: Wie sollen andere mich erleben?

3. Wenn er die Situation eigenverantwortlich gestaltet. (Freiheit und Eigenverantwortung)

Also ohne (Gruppen)Zwang, autoritären Druck oder Chefs und Berater, die genau zu wissen meinen, was andere Menschen tun sollten.

4. Wenn er dabei sich selbst und andere bewusst wahrnimmt und nicht einfach auf „Maschinenmodus“ schaltet.

Szene 3: Eine leitende Redakteurin muss mit ihrem Team und vor allem mit freien Mitarbeitern schmerzhafte Sparmaßnahmen exekutieren. Ihre eigenen Vorstellungen dazu wurden von der Chefredaktion nicht berücksichtigt. (Hm, das wollen wir jetzt nicht weiter diskutieren.)  Sie kommt ziemlich verzweifelt zum Coaching mit dem Adorno-Satz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Sie kann sich keine Möglichkeit vorstellen, das durchzuziehen und sich dabei nicht selber „total zu verbiegen“.

Ihr Ziel: „Ich bin keine aalglatte Managerin. Ich möchte mich aufrecht im Spiegel angucken können.“ Wir arbeiten am äußeren Rahmen:  Zwangsläufig akzeptiert, weil sie für sich erstmal keinen anderen vorstellen kann.

Sie fühlt sich in der Klemme. Also, was tun?

Arbeit an ihrer Haltung, an ihren Werten.

Wie will sie denn in dieser Situation von den Kollegen beschrieben werden?
Wie kann sie ihre Werte weiter leben?
Welche Möglichkeiten sieht sie für sich, ihr Team in dieser schwierigen Sparrunde authentisch zu begleiten?
Wie nimmt sie die Stimmung und ihre eigenen Gefühle wahr?

Und wie kann sie die verblieben Freiräume bewusst so gestalten, dass sie weiter ihren eigenen und ganz persönlichen Fingerabdruck als Redaktionsleiterin hinterlässt?

Herausgekommen ist ein authentisches Bild von „Führung in harten Zeiten“.

Also, es geht mit der „Echtheit“ – sogar in Situationen, die auf den ersten Blick „verkehrt“ sind.

Und wenn das alles passt, dann ist ECHT das neue SCHÖN.